»Gott zur Sprache bringen – Raum geben – Leben teilen…«

Sie halten die erste Gemeindezeitung der neuen Evangelischen Lydiagemeinde in den Händen. Wie manche von Ihnen wissen war ich in den Jahren 1989 – 2002 Pfarrer der Wicherngemeinde und kenne auch die Auferstehungsgemeinde und die Gemeinde Hausen noch gut aus dieser Zeit. Mit großer Aufmerksamkeit und Sympathie habe ich in den vergangenen Jahren verfolgt, wie die drei bisherigen evangelischen Kirchengemeinden in Praunheim und Hausen sich auf den Weg in eine gemeinsame Zukunft gemacht haben.

Der Grund hierfür ist bekannt: Die Anzahl der Mitglieder der Evangelischen Kirche geht zurück. Die Beteiligung an den Gottesdiensten ist bei besonderen Gelegenheiten zwar ganz gut, könnte aber an den „normalen“ Sonntagen besser sein. Und es ist schwer, Menschen für ein längerfristiges Engagement in der Kirche zu gewinnen. Auch andere gesellschaftliche Gruppen wie Vereine, Gewerkschaften und Parteien haben mit der gleichen Entwicklung zu kämpfen. Von daher ist es naheliegend, enger zusammen zu arbeiten und aus drei klein gewordenen Kirchengemeinden eine größere zu machen.

Menschen haben heutzutage meist keine klare Vorstellung mehr davon, wofür Kirche steht. Sie sind aber oft ganz angetan von der enormen Vielfalt an sozialer Arbeit, die in Kirchengemeinden und den kirchlichen Einrichtungen geleistet wird. Pfarrerinnen und Pfarrer spüren diese Veränderungen jeden Tag in ihrer Berufsausübung. Es braucht ein hohes Maß an persönlichem Einsatz, damit die Menschen mit ihrer Tätigkeit etwas anfangen können. Das ist eine Auswirkung gesellschaftlicher Prozesse, zum Beispiel der so genannten Individualisierung.

Botschaften lassen sich glaubwürdig nur noch persönlich vermitteln. Kirche und ihr Auftrag sind nicht mehr selbstverständlich. Das ist eine große Herausforderung, für Pfarrerinnen und Pfarrer, aber genauso auch für ehrenamtlich Mitarbeitende. Denn auch sie werden gefragt: Warum engagierst du dich eigentlich in der Kirche? Es gilt, selbstbewusst und mit Gottvertrauen Minderheitenkirche zu sein, in einer säkularen, multikulturellen und auch multireligiösen Stadtgesellschaft!

Was das heißt, wird an Lydia deutlich, einer Geschäftsfrau, von der in der Bibel berichtet wird. Sie lebte in Philippi, im heutigen Nordgriechenland, kam ursprünglich aus dem Gebiet der heutigen Türkei, und handelte mit Purpur, einem damals sehr wertvollen Farbstoff für die Textilindustrie.

Lydia gehörte zu den ersten Personen auf europäischem Boden, die den christlichen Glauben angenommen haben. In ihrem Haus konnte sich die noch junge christliche Gemeinde in Philippi treffen. Unter ihrem Dach und unter ihrem Schutz ist damals eine Keimzelle des christlichen Glaubens entstanden. Menschen trafen sich bei ihr zum Gebet. Sie sprachen über Gott. Sie teilten einander mit, was ihnen in ihrem Leben wichtig war. Sie brachten die Botschaft Jesu anderen Menschen nahe. Dafür stand die Purpurhändlerin Lydia damals, und dafür steht der Name Lydia für Christinnen und Christen heute.

Das Leitbild der Lydiagemeinde bringt genau das zum Ausdruck: Gott zur Sprache bringen – Raum geben – Leben teilen. Diese drei Dimensionen der Gemeindearbeit beschreiben, was damals vom Haus der Lydia ausging. Menschen machten sich miteinander auf den Weg, um als Christinnen und Christen glaubwürdig von der Botschaft Gottes zu erzählen und in der Nachfolge Jesu zu leben. Mit Lydia konnte sich das Evangelium ausbreiten.

Heute steht die Kirche vor der Herausforderung, eine neue Gestalt zu finden und sich neu zu organisieren, weil sich unsere Gesellschaft tiefgreifend verändert. Aber darin liegt auch eine große Chance. Wir werden dabei lernen, uns wieder neu an Jesus Christus und an seinem Weg zu orientieren. Und das heißt: Wir sorgen uns nicht um die Kirche und ihren Erhalt. Sondern wir engagieren uns für das Evangelium, für die Botschaft von Jesus Christus. So wie es einst die Geschäftsfrau Lydia tat. Und für diese Botschaft brauchen wir uns nicht zu verstecken!

Menschen sollen erleben: In der Kirche, in ihren Gemeinden, in ihren Einrichtungen werden sie gesehen – und auch vermisst. Sie sollen erleben: Hier wird ihnen geholfen. Sie sollen erfahren: Kirche setzt sich ein für eine Welt, in der jedem Menschen mit Respekt und Barmherzigkeit begegnet wird. Denn Gott liebt jeden Menschen! Wir können stolz sein, an dieser Mission Gottes mitzuwirken!

In diesem Sinne wünsche ich der neu gegründeten Evangelischen Lydiagemeinde und allen Menschen in Praunheim und Hausen Gottes Segen!

Ihr Pfarrer Dr. Achim Knecht, Stadtdekan